Aufstehen

Jens Rönnau: Ein „Haus der Demokratie“ – Aufstehen für die Nachhaltigkeit erstrittener Werte

Zahlreiche Experten und Veranstalter haben 2018 gemeinsam mit der Stadt Kiel und dem Land Schleswig-Holstein ein ausgesprochen umfangreiches Programm zur Erinnerung an den Arbeiter- und Matrosenaufstand vom November 1918 auf die Beine gestellt. Und auch in anderen Städten gab und gibt es Ausstellungen und Veranstaltungen zu diesem Thema. Das ist ein vorbildliches gesamtgesellschaftliches Engagement für das Revolutionsereignis und die erstrittenen demokratischen Werte, wie es 100 Jahre lang (in Westdeutschland) nicht geschehen war.

Anfang 2019 wird dieser Veranstaltungsreigen beendet sein. Was aber geschieht dann, nach diesem „Revolutionsjubiläumsjahr“? Voraussichtlich wenden sich die meisten den nächsten Jubiläen und Erinnerungstagen zu oder schlicht dem üblichen Alltagsgeschäft. Und dann könnte der Schwung aller Er- und Bekenntnisse dieses Jahres bald Schnee von gestern sein – Geschichte der Geschichte eben.

Man sollte sich aber klarmachen, dass jenes umfassende Engagement so vieler Beteiligter wohl kaum allein wegen des besonderen Erinnerungsjahres erfolgt, sondern wohl auch gerade wegen der weltweit um sich greifenden Angriffe auf die demokratischen Werte und auf die Menschenrechte, dessen gültige Fassung dieses Jahr auch immerhin 70 Jahre alt wird. Diese negative Entwicklung sehen aufgeschlossene Menschen mit Schrecken – andere scheinen schnelle Lösungen zu haben und schüren jene Erosion der Werte durch Hohlformeln und Angstmacherei.

Ziele / Aufgaben
Was wir brauchen, sind Menschen, die demokratisch gebildet sind, Menschen, die wissen, was es in der Vergangenheit bedeutet hat, wenn man in Krisen blind den falschen Propheten hinterher gelaufen war, die wissen, was es bedeutet, wenn man Menschen mit Krieg überzieht, sie übervorteilt oder ausgrenzt. Dafür hat zum Beispiel der Verein Mahnmal Kilian in Kiel den einstigen norddeutschen Mittelpunkt der verbrecherischen Kriegsführung des NS-Regimes, den Kieler „Flandernbunker“, in sein Gegenteil verkehrt: Das einstige Hauptquartier des „Marineoberkommandos“ ist heute ein Diskursort für die Vermittlung von Geschichte zur Friedensförderung und Völkerverständigung, ein „Haus der Friedens“. Es mag dabei symbolisch sein, dass der „Flandernbunker“ in einer entmilitarisierten Zone direkt vor den Toren des heutigen Marinestützpunktes liegt – und die heutigen Soldatinnen und Soldaten ebenso wie Schulklassen aktiv in den Bildungsprozess mit einbezogen werden.


(Bild: Der „Flandernbunker“ am Kieler „Tirpitzhafen“ und eine Schülergruppe, Foto Jens Rönnau.)

Eine Idee für Kiel mit überregionaler Ausstrahlung: das „Marineuntersuchungsgefängnis“ in Kiel-Wik als „Haus der Demokratie“
In eben dieser entmilitarisierten Zone liegt ein weiteres Gebäude von besonderer historischer Bedeutung: ein leer stehender Gefängnisbau, der im Kaiserreich „Marinearrestanstalt“ war, in der Zeit des Nationalsozialismus erheblich vergrößert zum „Marineuntersuchungsgefängnis“. Dort wurden am 4. November 1918 die ersten eingesperrten Rädelsführer des Matrosenaufstands befreit – dort kippte der Aufstand zur Revolution. Das NS-Regime, berüchtigt dafür, sich auf historische Situationen revanchistisch zu beziehen (z.B. 9. November 1918 Matrosenaufstand/Ausrufung der Republik – 9. November 1938 Pogromnacht gegen Juden), verdoppelte die Gebäudegröße und sperrte dort deutsche Soldaten ein, die wegen Kritik am Regime zum Tode verurteilt und dann in Kiel-Altenholz ermordet wurden – vermutlich Hunderte.

Dieses denkmalgeschützte Gebäude hat die Stadt Kiel gekauft, um es teilweise abzureißen zugunsten einer Grünachse. Inzwischen hat aber ein Nachdenken über einen Kompletterhalt eingesetzt. Analog zum Bedeutungswandel des „Flandernbunkers“ könnte auch das ehemalige „Marineuntersuchungsgefängnis“ in sein positives Gegenteil verkehrt werden: Der einstige Ort der Unterdrückung könnte zum „Haus der Demokratie“ gemacht werden – mit einer Dauerausstellung zum Matrosenaufstand und der Entwicklung der Demokratie, mit Raum für Forschung, Archiv, Bildungsvermittlung, Arbeit mit internationalen Jugendgruppen und mehr. Es wäre ein Ort, der positiv weit über Kiel hinaus strahlen würde. Und es wäre eine Aufgabe, an der die Stadt Kiel, die Hochschulen und das Land Schleswig-Holstein gemeinsam arbeiten könnten – als ein nachhaltiger Beitrag aus der breiten Erkenntnis heraus, dass wir heute dringend mehr tun müssen für die 1918 erstrittenen Werte unserer Demokratie.


(Bilder: Gefängniszellen der Kaiserlichen „Arrestanstalt“ (li) und eine Kerkerzelle im Keller des Erweiterungsbaus als NS-„Marineuntersuchungsgefängnis“ (re), Fotos Jens Rönnau. U-Bootkapitän Oskar Kusch (Mitte) saß drei Monate im „Marineuntersuchungsgefängnis“ um auf die Vollstreckung seines Todesurteils 1944 zu warten, Foto Archiv Altenholz.)

Mehr Informationen:
www.mahnmalkilian.de
SHZ-Artikel
Martin Rackwitz: Kiel 1918, Revolution – Aufbruch zu Demokratie und Republik. Hrsg. Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte.


Über den Autoren: Dr. Jens Rönnau ist in Kiel geborener Kunsthistoriker und Journalist, Bildungsvermittler und Projektentwickler. Er war 1995 zusammen mit Kieler Bürgerinnen und Bürgern Gründer des Vereins Mahnmal Kilian zum Erhalt der Ruine des ehemaligen U-Bootbunkers „Kilian“. Nach dessen Abriss erwarb er mit dem Verein den „Flandernbunker“ vor dem Kieler „Tirpitzhafen“ und entwickelte dafür das Konzept als Mahnmal, Denkort und Museum. Er ist Mitglied in mehreren Ausschüssen zur Erinnerungskultur, darunter auch im Vorstand des vom ihm mitbegründeten Sprecherrats der Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten Schleswig-Holstein. 2014 entdeckte er aufgrund eines Zeitzeugenhinweises im ehemaligen Marineuntersuchungsgefängnis“ in einer der Kerkerzellen alte Kratzspuren – vermutlich von Todeskandidaten des NS-Regimes. Rönnau ist Träger des Deutscher Preis für Denkmalschutz, der Andreas-Gayk-Medaille der Landeshauptstadt Kiel und des Bundesverdienstkreuzes am Bande.

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