Aufstehen

Astrid Henke: Aufstehen für Bildung

Bildung ist ein wesentlicher Grundstein für sozialen Zusammenhalt, für eine friedliche und tolerante Gesellschaft. „Demokratie erkämpfen. Demokratie leben“, das heißt für mich – auch 100 Jahre nach dem Matrosenaufstand – aufzustehen für eine Bildung, die alle Menschen einbezieht und gesellschaftliche Ungleichheiten abbaut. Bildung, die allen Kindern und Jugendlichen Teilhabe und eine bestmögliche Entwicklung bietet. Eine emanzipatorische Bildung, die Menschen befähigt sich in der Demokratie zu beteiligen. Bildung, die stärkt gegen Vorurteile, Hetze und Hass.

Wer für gute Bildung eintritt, der kann sich erst einmal viel rhetorischer Unterstützung sicher sein. Kaum jemand aus Politik oder Gesellschaft würde wohl widersprechen, wenn man betont, wie wichtig doch Bildung ist. Kaum eine Regierung, die sich nicht damit rühmt, noch einmal mehr in die Bildung zu investieren als ihre Vorgängerin. Das hört sich ja alles meist ziemlich gut an.

Ein Blick in die Realität sieht da meist viel düsterer aus. Vielerorts marode Schulen, fehlende Kita-Plätze, Unterrichtsausfall und ein gravierender Fachkräftemangel in allen Bildungsbereichen. Die Unterfinanzierung der Bildung ist vielerorts Alltag. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir Gefahr laufen, uns mit manchen Sachen irgendwie abzufinden und sie mitunter gleichgültig zur Kenntnis nehmen. Anders kann ich es mir nicht erklären, dass die in Deutschland nach wie vor gravierende Bildungsungerechtigkeit kaum nachhaltige Beachtung findet. Auch 100 Jahre nach der Einführung der Demokratie hängen die Bildungschancen der Kinder in Deutschland überdurchschnittlich hoch von der Herkunft der Eltern ab. In einem der reichsten Länder der Welt schaffen wir es nicht, allen Kindern annähernd die gleichen Bildungschancen zu geben.

Das längere gemeinsame Lernen und die Inklusion zielten in den letzten Jahren auf eine deutliche Verbesserung in diesem Bereich ab. Aufgrund der mangelnden Ausstattung in Schulen verzweifeln heute vielerorts die engagiertesten Lehrkräfte ob der fehlenden Unterstützung für die Inklusion und das gemeinsame Lernen. Gerade an Schulen mit besonderen Herausforderungen sind schlechte Ausstattung und fehlende Fachkräfte besonders ausgeprägt. Ohne nachhaltige und intensive Unterstützung droht das längere gemeinsame Lernen zu scheitern. Wir stehen an einem Scheideweg.

Als Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft fordern wir dringend mehr Geld für Bildung. Wir müssen dringend in die Qualität der frühkindlichen Bildung investieren. Wir müssen dringend mehr Geld für die Inklusion und das gemeinsame Lernen bereitstellen. Unsere gesellschaftlichen Ungleichheiten werden wir nur mit einem inklusiven Bildungssystem abbauen. Deshalb müssen wir aufstehen für Bildung.

In Deutschland, Europa und der Welt werden Ängste, Vorurteile und Hass bewusst geschürt. Rechtspopulisten, Rechtsradikale und auch Teile der sog. politischen Mitte bedienen sich einer Verunsicherung und Unzufriedenheit der Menschen, um politische Stimmung zu machen. Wir erleben einen radikalen Wandel und in Teilen der Bevölkerung eine größer werdende Skepsis bis hin zur Ablehnung der Demokratie. Gerade deshalb sollte der 100. Jahrestag der Demokratie in Deutschland für uns alle Anlass und Verpflichtung sein, uns einzumischen und Position zu beziehen.

Als Lehrerin und als Gewerkschafterin sehe ich mich und alle anderen Beschäftigten in Bildungseinrichtungen in besonderem Maße in der Verantwortung, für Demokratie und Menschenrechte einzutreten und Zivilcourage zu zeigen.


Über die Autorin: Astrid Henke ist Sonderschullehrerin seit 1989 und viele Jahre im Hauptpersonalrat der Lehrkräfte. Seit drei Jahren ist sie Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

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